Wie viel regenerativen Strom braucht Deutschland? Und: Was versteht man eigentlich unter Primär-, was unter Endenergie?

Die Frage, wie nahe Windräder an Siedlungen stehen sollten, hat im letzten Jahr die öffentliche Diskussion um das Thema regenerativen Strom geprägt. Das andere Stichwort war der 52 Gigawatt (GW) Deckel, mit dem die Deckelung des geförderten Ausbaus der Photovoltaik beschrieben wurde. Aber wie ist eigentlich der aktuelle Stand beim Thema regenerativer Strom? Und wie viel brauchen wir davon? Und bis wann? Damit wollen wir uns heute beschäftigen…..

Laut Informationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie haben wir in Deutschland im Jahr 2019 244 TWh (Terrawattstunde) regenerativen Strom erzeugt. Das entspricht 42,1% am Bruttostromverbrauch von insgesamt ca. 580 TWh. 2020 könnte der prozentuale Anteil nochmals etwas höher liegen, so waren es bis Ende September etwa 48%. Klingt ja eigentlich nicht schlecht. Die Frage ist aber, wie viel Strom wir insgesamt aus regenerativen Quellen brauchen, um ein klimaneutrales Land zu werden. Und da sehen die Zahlen ganz anders aus. Um dies zu vertiefen, müssen wir zunächst den Begriff der Primärenergie bzw. des Primärenergiebedarfs erklären. 

Unter Primärenergie verstehen wir den gesamten Energiebedarf eines Landes, der für die Stromproduktion, das Betreiben von Verbrennungsmotoren in Fahrzeugen, zum Heizen unserer Häuser oder auch für Industrieprozesse benötigt wird (Abb. 1). Diese Energie steht in verschiedenen Formen bzw. Stoffen zur Verfügung: in Form von Kohle, Mineralöl, Erdgas, Kernenergie oder eben auch in Form erneuerbarer Energien. Die Einheit der Primärenergie ist das Joule (J). Wir wollen hier die alternative Einheit Wattstunde verwenden, weil wir es so aus den Angaben unseres Stromverbrauchs gewohnt sind. So hatten wir in 2018 einen Primärenergieverbrauch von 3.394 TWh. 

Leider können wir die Primärenergie nicht komplett nutzen, da unter anderem bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Stromproduktion oder bei der Produktion von Kraftstoffen aus Erdöl ein Teil der Energie in Form von Wärme verloren geht. Den für uns als Verbraucher wirklich nutzbaren Anteil der Primärenergie bezeichnen wir als End- oder Sekundärenergie (Abb 2). Diese beziehen die Nutzer (Haushalte, Industrie, Gewerbe) als Strom, Fernwärme, Benn- oder Kraftstoffe. 2018 betrug die genutzte Endenergie 2.494 TWh, also nur 73% der Primärenergie. Auch die Endenergie nutzen wir nicht vollständig, da z.B. beim Verbrennen von Benzin oder Diesel auch ein Teil der Endenergie in Wärme überführt wird. Anderes Beispiel: Beim Nutzen eines Mixgeräts in der Küche wird elektrische Energie in mechanische Energie überführt – ein Teil der nutzbaren Energie geht als Wärme verloren, der Mixer wird warm.

Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Primär-, End- und Nutzenergie. Nur wichtige Umwandlungen von Primär- zur Endenergie sind angezeigt. Unter Endenergie verstehen wir die Energieträger, welche die Nutzer beziehen können. Es sei noch angemerkt, dass nach dem Energie-Erhaltungssatz Energie nicht verloren gehen kann. In diesem Sinne beschreibt der Begriff Verlust in dieser Abbildung den Verlust für uns nutzbarer Energie.

Betrachten wir jetzt den Anteil erneuerbarer Energien, dann sieht es wie folgt aus:  244 TWh regenerativer Strom stehen einem Endenergieverbrauch von 2.494 TWh gegenüber. Wenn wir jetzt noch andere regenerative Energiequellen berücksichtigen, die nicht zur Stromproduktion verwendet werden wie z.B. Holz für die Pelletheizung oder Umgebungswärme zum Heizen, dann liegt der Anteil regenerativer Energieformen derzeit laut Umweltbundesamt bei etwa 15%. Das klingt leider ganz anders, als die fast 50% Anteil des regenerativen Stroms am gesamten aktuellen Strombedarf. Wenn wir also fragen, wie viel regenerativen Strom Deutschland eigentlich braucht, dann wird dies aus diesen Zahlen deutlich. Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft müssen wir nämlich alle fossilen Brennstoffe komplett durch regenerative Quellen ersetzen. Mit anderen Worten: In allen Lebensbereichen müssen wir den Energiebedarf elektrisch abdecken. Es geht also nicht nur darum, den Stromverbrauch aus regenerativen Quellen zu decken, sondern auch das Verbrennen fossiler Brennstoffe für Mobilität, Heizung oder Industrie. Wir brauchen also Autos und Busse, die mit Elektromotor (z.B. mit Batterie oder Brennstoffzelle) betrieben werden, elektrisch betriebene Wärmepumpen statt Öl- oder Gasheizungen oder grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe für die Zement- und Stahlindustrie, Reservekraftwerke oder den Betrieb von Lkws oder Flugzeugen.

Quellen für den regenerativen Strom werden im Wesentlichen die Windkraft und die Photovoltaik sein. Bei der Wasserkraft gibt es bei uns kaum noch Ausbaupotential. Die Biomasseproduktion in Deutschland (im Wesentlichen Mais) ist begrenzt und steht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Auch die Verwendung von Holz ist limitiert: So geben regionale Wälder nur begrenzt Holzabfälle her und eine Abholzung steht oft im Widerspruch zu z.B. dem Erhalt der Artenvielfalt. Auch macht der Import von Holz über lange Strecken wenig Sinn, da dies mit einer schlechten Transportökobilanz verbunden ist. 

Verschiedene Studien (siehe Angaben am Ende des Beitrags) haben untersucht, wieviel der Endenergie von knapp 2.500 TWh in Form regenerativen Stroms produziert werden muss, um unsere Treibhausgasemissionen bis 2050 auf nahezu Null zu drücken. Dabei geben diese Studien jeweils unterschiedliche Szenarien an. Berücksichtigt werden beispielsweise unterschiedliche Verhaltensweisen der Nutzer, mögliche Steigerungen der Effizienz oder unterschiedliche Szenarien für den Import regenerativer Energie als grünen Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe. Das Ergebnis: Im Vergleich zum heutigen Stand müssen wir in Deutschland fünf bis siebenmal mehr regenerativen Strom erzeugen als heute. Um die Klimaziele für Deutschland entsprechend des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, müsste dies eher bis 2035 als bis 2050 erreicht werden. Daraus ergeben sich wiederum verschiedene Szenarien, wie viel Windkraft (auf Land oder auf See) bzw. Photovoltaik pro Jahr zugebaut werden müssen. Und in allen Szenarien ist dies deutlich mehr als in der Vergangenheit und eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft. 

Fazit: Um die Energiewende in Deutschland zu schaffen, brauchen wir einen massiven Ausbau von Photovoltaik und Windkraft, was auch politisch ermöglicht werden muss. Neben großen Stromanbietern, die sich um Freiflächen-PV-Anlagen oder Windräder kümmern, müssen sich auch viele Hausbesitzer (PV-Anlagen) und Mieter (z.B. Mini-PV Anlagen auf dem Balkon) beteiligen. Dennoch gilt: Je bewusster wir als Verbraucher mit der Energie umgehen und je weniger wir verschwenden, um so einfacher und günstiger wird diese Transformation. Ein nachhaltiges und Ressourcen-schonender Lebensstil hilft bei diesem Übergang.

Quellen

Bundesverband der Deutschen Industrie, Klimapfade für Deutschland

Deutsche Energieagentur, Dena-Leitstudie Integrierte Energiewende

Frauenhofer Institut für solare Energiesystem ISE: Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem 

Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneuralität, Klimaneutrales Deutschland

UBA, Rescue Studie, Kurzfassung, Langfassung

Handbuch Klimaschutz, Oekom Verlag, 2020