Bei der Diskussion um die Ursachen des Insektenrückgangs wird häufig die Krefelder Studie aus dem Jahre 2017 zitiert. Auch wir haben darüber berichtet. Wesentliches Ergebnis dieser Studie war, dass die Biomasse an Insekten in den Untersuchungsgebieten in den letzten Jahren durchschnittlich um etwa 75% zurückgegangen ist. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse werden allerdings nicht von allen geteilt. Teilweise werden die Ergebnisse der Studie sogar aktiv in Frage gestellt oder gar die ganze Studie diskreditiert. Grund genug, dieses Thema erneut aufzugreifen und zu vertiefen…..
So hörten wir vor kurzem doch tatsächlich, dass die Krefelder Studie irreführend sei, weil es im Frühjahr 2017 einen starken Frost gegeben habe und dies ursächlich sei für den in der Studie beschriebenen Rückgang der Insekten. Diese Aussage zeigt, dass diejenigen, die diese Aussage tätigen, sich entweder nicht die Mühe gemacht haben, die Studie im Original anzuschauen; oder aber andere Absichten verfolgen und die Studie absichtlich falsch darstellen. Fakt ist, dass die Krefelder Studie im Jahr 2017 veröffentlich wurde. Tatsächlich aber enthält die Studie gar keine Daten aus 2017. Der Erfassungszeitraum der Studie war von 1989 bis 2016 – bis zur Veröffentlichung in 2017 wurden die Daten ausgewertet. Anschließend hat das wissenschaftliche Manuskript – wie bei guten wissenschaftlichen Veröffentlichungen üblich – einen Begutachtungsprozess durchlaufen. Dabei überprüfen andere Wissenschaftler*innen die Aussagen der Autoren, z.B. ob die gezogen Schlüsse wissenschaftlich haltbar sind. Diese Begutachtung läuft übrigens unentgeltlich ab, d.h. die Gutachter*innen erhalten für diese Aufgabe entsprechend kein Geld in Form eines Honorars.
Was wurde in der Krefelder Studie gemessen? Insekten wurden mit Hilfe spezieller Fallen gesammelt und gewogen, um die sogenannte Biomasse zu ermitteln. Und die ist über viele Jahre im Schnitt um ungefähr 75% gesunken. Die Biomasse wird hier als einfache Messgröße für die Anzahl der Insekten genommen. Was sagen die Zahlen nicht aus? Nicht alle Insektenarten sind um 75% zurück gegangen. Manche mögen auch vermehrt auftreten, andere hingegen könnten schon verschwunden sein. Um hier genaue Aussagen zu treffen, bräuchte es weitere Analyseverfahren.
Und die gibt es. Mittlerweile kommen mehr und mehr Studien hinzu, welche die Ergebnisse der Krefelder Studie unterstützen. Auch wurden diese Studien in verschiedenen Staaten durchgeführt: neben Deutschland z.B. in Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Finnland oder den USA und Kanada. Anders ausgedrückt: die Krefelder Studie ist nur eine unter vielen. So wurde beispielsweise in verschiedenen Studien der Rückgang an Schmetterlingen untersucht. Andere Studien untersuchten andere Tiere wie Wildbienen oder Hummeln, verschiedene Laufkäferarten, Pillendreherkäfer, Libellen, Zikaden oder Heuschrecken. Wer es genauer wissen möchte: Referenzen dazu finden sich u.a. in der Stellungnahme der Leopoldina (Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften), die wir weiter unten zitieren. Und alle Studien kommen zu demselben Ergebnis: In vielen Insektenpopulationen ist ein massiver Rückgang zu beobachten.
Um den Ursachen des Insekten-Rückgangs fundiert auf den Grund zu gehen, führt die Wissenschaft sogenannte Meta-Analysen durch. Dabei werden viele Studien vergleichend ausgewertet und so ein Überblick über eine aufgeworfene Frage gewonnen. So zeigt eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2019, die insgesamt 73 Originalarbeiten betrachtet hat, dass die intensive Landwirtschaft für fast 50% des Insektenrückgangs verantwortlich ist. Die Stichworte in diesem Zusammenhang sind beispielhaft Pestizide, Herbizide, Monokulturen, Verlust an kleinteiligen Flächen, Verlust an Hecken und Überdüngung. Eine andere Studie zeigte, dass die intensive Landwirtschaft zwar ihre Produktivität erhöht, allerdings auf Kosten der Artenvielfalt.
Gerne werden in der Diskussion aber auch Argumente vorgebracht, die ganz andere Ursachen für den Rückgang der Insekten verantwortlich machen und damit die Landwirtschaft als gar nicht so schlimm eingestuft wird. Tatsächlich können diese weiteren diskutierten Ursachen aber eben gerade nicht diesen dramatischen Rückgang bei den Insekten erklären, sondern nur kleinere Teilaspekte. In der Wissenschaft spricht man von einem sogenannten Strohmann Argument.
Die Leopoldina hat diese anderen Ursachen erst kürzlich in einer Stellungnahme beleuchtet und bewertet. So trägt Lichtverschmutzung zum Rückgang der Insekten bei (wir berichteten). Bei den meisten oben genannten Untersuchungen geht es aber um Tag-aktive Spezies. Und ja, auch Fahrzeuge, z.B. auf Autobahnen, töten Insekten. Allerdings werden viele Studien wie auch die Krefelder Studie fernab von Straßen durchgeführt. Und ja, auch Windkraftanlagen töten Insekten. Tatsächlich jedoch werden die genannten Studien meist in Bereichen ohne Windkraftanlage durchgeführt. Und: Die meisten Insekten leben in Bodennähe und halten sich gar nicht in den Höhen auf, in denen die modernsten Windkraftanlagen arbeiten.
So ein wenig erinnert uns die Diskussion im Zusammenhang mit dem Insektensterben an diejenige um den Klimawandel. So hört man dort Gegenstimmen von Klimawandelleugnern wie: „Es gibt den Klimawandel nicht, es fehlen wissenschaftliche Evidenzen. Die Studien sind fehlerhaft und so lange das nicht zu 100% bewiesen ist, brauchen wir auch nichts zu machen.“ – „Ach so, die Wissenschaft ist sich einig, dass es den Klimawandel gibt? Na gut, dann gibt es den Klimawandel halt, aber er hat definitiv nichts mit uns Menschen zu tun. Das hat es doch schon immer gegeben.“ – „Ach so, Ihr könnt beweisen, dass es der Mensch ist? Na gut, aber wir können halt nichts machen, viel zu teuer, die Wirtschaft wird leiden ….“. Wer möchte, kann jetzt einfach den Begriff Klimawandel durch Insektensterben oder Rückgang der Artenvielfalt austauschen und wird ähnliche Muster erkennen…. Wenn es um Wissenschaftsleugnung geht, finden sich immer wieder die gleichen Argumentationsmuster.
Und für manche ist es einfach nur bequem, nichts zu ändern.
Wer noch mehr lesen will:
Segerer/Rosenkranz, Das große Insektensterben, Oekom Verlag, 2018