Die Sache mit der Kernenergie: Die Kosten (Teil 2)

Im ersten Beitrag zu Thema Kernenergie haben wir betrachtet, wie hoch der Anteil der Kernenergie weltweit am produzierten Strom bzw. am Primärenergiebedarf ist. Heute wollen wir der Frage nachgehen, ob Kernenergie aus rein finanzieller Sicht eine Option wäre, um den Anstieg der Treibhausgasemissionen zu bremsen. Teil 2 unserer Serie trägt daher den Titel: Die Kosten der Kernkraft und des Atomstroms.

Im ersten Beitrag dieser Serie haben wir festgestellt, dass etwas mehr als 400 Kernkraftwerke etwa 4 Prozent des globalen Primärenergiebedarfs und etwa 10 Prozent des globalen Strombedarfs bereitstellen können. Aufgrund des hohen Alters der bestehenden nuklearen Infrastruktur wird dieser Anteil in den nächsten Jahren vermutlich sinken. Um einen signifikanten Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten zu können, müsste folglich in kurzer Zeit eine größere Anzahl an Kernkraftwerken gebaut werden. Mit welchen Kosten wäre dies verbunden? Schauen wir zunächst einmal auf zwei aktuelle Bauvorhaben in Europa.

Das Kernkraftwerk Flamanville-3 in Frankreich sollte ursprünglich 3,3 Milliarden Euro kosten. Die aktuellen Planungen gehen davon aus, dass es im Jahr 2023 mit 11 Jahren Verspätung ans Netz gehen soll und sich die Kosten dann auf 19 Milliarden Euro belaufen werden. Ähnlich sieht es für das Kernkraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien aus. Ursprünglich sollte es 2017 in Betrieb gehen, jetzt ist von 2026 die Rede. Mit 27 Milliarden Euro wird der Reaktor dann etwa doppelt so viel kosten wie ursprünglich geplant. Letzterer wird übrigens auch aus China mitfinanziert. Ähnlich hohe Kosten, ausufernde Kostenentwicklungen und verzögerte Fortschritte im Bau gibt es auch von den Kraftwerten Olkiluoto (Finnland) oder Vogtle-3 und -4 (USA) zu berichten. 

Bei diesen Kosten für den Bau von Kernkraftwerken sind die zukünftigen Kosten für Rückbau und Endlagerung des anfallen Atommülls noch nicht eingerechnet. Aus den bisherigen Rückbauten von Kernkraftwerken kann man abschätzen, dass allein der Abriss eines Reaktors in etwa 1 Milliarde Euro kostet und viele Jahre dauert. So befanden sich alleine Mitte 2021 weltweit 196 Reaktoren im Rückbau. Die Kosten für die langfristige, sichere Endlagerung des Atommülls sind bisher übrigens noch nicht bekannt. Bis heute gibt es auch kein in Betrieb befindliches Endlager, wenn man mal von der Einleitung von radioaktiven Abfällen in die Weltmeere absieht, wie es in der Vergangenheit schon gemacht wurde.

Schauen wir uns jetzt einen anderen wichtigen Parameter an, die sogenannten Stromgestehungskosten. Mit diesen werden die Kosten in Cent pro kWh berechnet, die anfallen, wenn Strom über verschiedene Verfahren hergestellt wird. So bezieht sich dieser Bericht für 2018 auf das Frauenhofer-Institut für Solare Energiesysteme und gibt folgende Mittelwerte an:

Biogas: 12,4 Ct/kWh

Atom: 12 Ct/kWh

Wind offshore: 10,7 Ct/kWh

Gas: 9,5 Ct/kWh

Steinkohle: 9,4 Ct/kWh

PV Dach in Norddeutschland: 9,2 Ct/kWh

Braunkohle: 7,1 Ct/kWh

PV Dach in Süddeutschland: 6,7 Ct/kWh

Wind onshore: 6,1 Ct/kWh

PV Freifläche Norddeutschland: 6 Ct/kWh

PV Freifläche Süddeutschland: 4,3 Ct/kWh

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie sich die Stromgestehungskosten über die letzten Jahre verändert haben. Und auch hier ist das Bild sehr klar: Während die Kosten für die Produktion von Strom aus Photovoltaik bzw. Windkraft von 2009 bis heute um ca. 90% bzw. 70% gefallen sind, sieht dies bei der Atomkraft anders aus: Hier gab es im gleichen Zeitraum ein Plus von 33%.

Diese Aufstellungen zeigen, dass bei einem Neubau Atomkraftwerke schon heute nicht mit Anlagen zur Produktion erneuerbarer Energien mithalten können. Schauen wir uns das einmal konkret am Bau von Flamanville-3 an. Seit 2007 wird an diesem Reaktor mit einer geplanten Leistung von 1600 MW gebaut. Die Kosten (siehe oben) werden aktuell auf 19 Milliarden Euro veranschlagt. Zum Vergleich: Der Windpark Hornsea One in England wurde zwischen 2018 und 2020 in 20 Monaten errichtet, hat eine Leistung von etwa 1200 MW und hat etwa 2,65 Milliarden Euro gekostet. Und auch das Kraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien ist nur deshalb konkurrenzfähig, da der Staat einen Preis von 90 Euro pro MWh produzierten Strom garantiert. Fairerweise muss man festhalten, dass auch erneuerbare Energien subventioniert wurden und werden. Allerdings gibt es bereits erste Windparks, die auch ohne Subventionen arbeiten und Strom im Bereich von 50 Euro pro MWh anbieten können. Siehe dazu Informationen hier und hier. Häufig wird behauptet, dass kleinere Reaktoren, die sogenannten small modular reactors (SMR), die aktuell entwickelt werden, kostengünstiger sein werden. Im vierten Teil dieser Serie werden wir auf die aktuellen Erkenntnisse hierzu eingehen. 

Viele Kernreaktoren sind auch im laufenden Betrieb unwirtschaftlich. So wurden zwischen 2009 und 2021 alleine in der USA 12 Kernkraftwerke aus diesen Gründen vom Netz genommen

Fazit: Atomstrom ist auf dem Markt nicht konkurrenzfähig und kann nur aufgrund von Subventionen bestehen. Die Bestrebungen, die Treibhausgasemissionen zu senken, werden durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und Speichermöglichkeiten (Stichwort Wasserstoff) deutlich besser unterstützt. 

Die weiteren Teile dieser Serie werden hier nach Erscheinen verlinkt:

Teil 1: Die aktuelle Lage der Kernenergie

Teil 3: Kernkraft ist nicht klimaneutral

Teil 4: Kleine Reaktoren: Small modular reactors (SMR)

Teil 5: Die offenen Probleme der Kernkraft

Literatur

World Nuclear Industry Report

Uranatlas des BUND

Stellungnahme der Scientists 4 Future zum Thema Kernkraft.

Artikel in der Wirtschaftswoche

Artikel der Deutschen Welle, hier und hier.

Updates

24.1.2022: Ein Satz im 5. Absatz wurde zur Klarstellung umformuliert.