Die Sache mit der Kernenergie: Ist die Kernenergie klimaneutral ? (Teil 3)

In unserer kleinen Reihe über die Kernkraft haben wir uns in den ersten beiden Teilen einen Überblick über den Anteil der Kernenergie am Primärenergiebedarf sowie über die Kosten des Atomstroms verschafft. Heute wollen wir ein Argument beleuchten, welches in der Debatte immer wieder hervorgebracht wird: Atomstrom sei klimaneutral. Das wichtigste vorweg: So einfach ist die Sache nicht, aber nehmen wir das Ergebnis der dritten Folge vorweg: Kernkraft ist nicht klimaneutral.

Die Aussage, Atomkraft sei klimaneutral, wird gerne in die aktuelle Diskussion eingebracht, wenn es darum geht, wie wir schnellstmöglich unsere CO2-Emissionen senken können. Verbunden damit folgt dann in der Argumentation, man möge die bestehenden Atomkraftwerke weiter betreiben oder gar darüber nachdenken, neue zu errichten. Andere Länder machten dies ja auch. Aber stimmt dieses Argument überhaupt? 

Korrekter wäre die Aussage, dass Atomkraftwerke im Betrieb keine direkten Emissionen von Treibhausgasen verursachen. Tatsächlich ist die Sache aber viel komplexer. Für den Betreib eines Atomkraftwerks Uran wird benötigt, welches in Form von Uranerz gefördert und zu Brennstäben aufbereitet werden muss. Auch muss ein Atomkraftwerk gebaut werden, was große Mengen Beton und Stahl sowie andere Materialien benötigt. Man spricht in diesem Zusammenhang von den Emissionen in der sogenannten Vorkette. Aufgrund dieser indirekten Emissionen in der Vorkette ist Atomkraft eben nicht klimaneutral. Der Fairness halber sollte man an dieser Stelle aber anmerken: Diese Emissionen aus der Vorkette gibt es auch bei anderen Formen der Energiegewinnung, auch bei der Photovoltaik oder der Windkraft. Um also eine Aussage darüber treffen zu können, welche Form der Energiegewinnung am wenigsten Treibhausgase ausstößt, muss man eine Analyse des gesamten Lebenszyklus machen, ein life cycle assessment (LCA)

Aber wie sieht nun die CO2-Bilanz des Atomstroms konkret aus? Verschiedene Studien sind dieser Frage nachgegangen. Wir wollen hier mit einer Studie des Ökoinstituts aus Darmstadt starten und dann die Ergebnisse anderer Institute und Wissenschaftler im Vergleich betrachten.

Die Prozesse zur Herstellung von Uranbrennstäben sind energieintensiv. Der notwendige Energieaufwand unterscheidet sich von Land zu Land. Eine allgemein gültige Zahl zu benennen ist daher schwierig. Dies hat etwas damit zu tun, wie das Uranerz abgebaut wird, wie hoch der Urangehalt im Erz ist (und damit der Energieaufwand, das Uran aus dem Erz aufzureinigen), welche Transportwege zu überwinden sind und wie aus dem Erz letztlich die Brennelemente hergestellt werden. Hierfür wird Strom benötigt, der selber mit unterschiedlichen CO2-Emissionen belastet ist. So schwanken die Werte für die Herstellung der Brennelemente zwischen 1,3 g CO2e/kWh Strom in Frankreich (Herstellung der Brennelemente mit Hilfe von Atomstrom) und 18,6-19,7 g CO2e/kWh Strom in den USA bzw. Russland (Herstellung der Brennelemente mit Hilfe von Kohlestrom). In Deutschland beträgt der Wert 8,9 g CO2e/kWh Strom. 

Betrachtet man noch die Emissionen für Bau eines Kernkraftwerks und dessen Betrieb, so ergeben sich in der Summe höhere Werte. Diese lassen sich in einer Spannbreite zwischen 8 g CO2e/kWh Strom (Frankreich) und 62-65 g CO2e/kWh Strom (USA bzw. Russland) abbilden. In Deutschland liegt der Wert bei 32 g CO2e/kWh Strom.

Damit ist Atomkraft zwar mit deutlich niedrigeren Emissionen als die fossile Brennstoffindustrie verbunden, die man bei Kohle mit mehr als 1000 g CO2e/kWh (!) Strom ansetzen muss. Aber kommen wir damit zur ersten Hauptaussage dieses Beitrags. Im Gegensatz zu den Behauptungen mancher Politiker und vor allem mancher Medien ist die Kernkraft eben nicht klimaneutral. 

Tatsächlich ist die Sache noch komplexer. Einfluss auf den errechneten Wert hat nämlich auch der Urangehalt des geförderten Uranerzes. Dieser sinkt kontinuierlich, da die besten Lagerstätten bereits ausgebeutet sind. Dies spiegelt sich auch in den berechneten Emissionen wider und es gibt in der Literatur sehr unterschiedliche Ergebnisse, je nach untersuchten Bedingungen. Wenn man alle Studien vergleichend betrachtet – die Wissenschaft spricht dann von einer Metaanalyse – ergibt sich laut dieser Studie ein Mittelwert von 66 g CO2e/kWh Strom. Ähnlich kommt diese Studie auf 60 g CO2e/kWh Strom. Bei sinkendem Urangehalt steigen die Werte weiter an und können dann bei über 200 g CO2e/kWh Strom liegen, wie hier dargestellt. Übrigens steigt bei niedrigerem Urangehalt im Erz auch der Energieaufwand für die Gewinnung, so dass ein Punkt erreicht wird, bei dem die Kernkraft nicht mehr Energie liefern kann, als für den Betrieb aufgebracht werden muss. 

Kommen wir zur zweiten wichtigen Frage: Wie sehen die abgeleiteten Werte nun im Vergleich zu anderen Optionen der Stromerzeugung aus, insbesondere den Erneuerbaren? Wie sehen die Analysen über den gesamten Lebenszyklus aus? Auch hier werden oft Spannen angegeben, da auch die CO2-Emissionen erneuerbarer Energien von verschiedenen Faktoren abhängen. Auch für PV-Paneele oder Windkraftanlagen müssen Rohstoffe gefördert und verarbeitet werden und die Energieausbeute hängt vom Standort der Anlage ab (z.B. viel oder wenig Sonne oder Wind). Weitere Parameter betreffen beispielsweise die angenommene Laufzeit der Anlage (heute werden etwa 30 Jahre für PV Anlagen angenommen) und die verwendeten PV-Module. Welche Werte wurden hier erhoben? Es finden sich: Windkraft 2,8-7,4 g CO2e/kWh h Strom, Solarthermie Kraftwerk 8,5-11,3 g CO2e/kWh, Photovoltaik 19-59 g CO2e/kWh. Aufgrund des immer höheren Wirkungsgrades der PV-Paneele sinkt dieser Wert weiter kontinuierlich. So geben Tian und Kollegen von nur noch 10,76 g CO2e/kWh für Paneele an, die auf der neuesten Petrovskit-Technologie beruhen. 

Fazit: Kernenergie ist bereits heute hinsichtlich des Treibhausgasausstoßes nicht besser als erneuerbare Energieformen, sondern tendenziell schlechter! 

Bereits erschienen:

Teil 1: Die aktuelle Bedeutung der Kernenergie

Teil 2: Die Kosten der Kernkraft und des Atomstroms

Die weiteren Teile dieser Serie werden hier nach Erscheinen verlinkt:

Teil 4: Kleine Reaktoren: Small modular reactors (SMR)

Teil 5: Die offenen Probleme der Kernkraft

Literatur:

National renewable energy laboratory:  Life Cycle Greenhouse Gas Emissions from Solar Photovoltaics  

Tian, X., Stranks, S.D., You, F., Life cycle energy use and environmental implications of high-performance perovskite tandem solar cells. Science Advances 2020, 6: eabb0055

Sovacol, B.K., Valuing the greenhouse gas emissions from nuclear power: A critical survey, Energy Policy, 36 (2008) 2940-2953

Energiebilanz der Nuklearindustrie