Die Sache mit der Kernenergie: Neue Reaktortypen (Teil 4)

Auf die hohen Kosten der Kernenergie sind wir bereits in Teil 2 unserer Serie zur Kernernergie eingegangen. Um diese zu senken, werden von Manchen kleinere Reaktoren propagiert, die so genannten small modular reactors (SMRs). Da diese auch in Serie gefertigt werden sollen, werden sie häufig als DIE Lösung im Kampf gegen den Klimawandel dargestellt. Aber gibt es diese bereits und wie sind sie einzuordnen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, wollen wir dieses Thema im 4. Teil unserer Serie beleuchten

Atomkraft ist teuer. Einen großen Anteil daran haben die hohen Kosten für die Errichtung der Kraftwerke. Es sei hier an die 19 Milliarden Euro für Flamanville-3 (Frankreich) oder die 27 Milliarden Euro für Hinkley Point C (Großbritannien) erinnert. Eine viel diskutierte Idee, wie die Kosten für die Errichtung gesenkt werden könnten, ist der Einsatz sogenannter small modular reactors, kurz SMRs. Diese haben nur eine Leistung von 1,5 bis maximal 300 MW und sind damit deutlich kleiner als die derzeitig betriebenen Reaktoren mit 1.000 bis 1.600 MW. Die Vorstellung ist, dass durch eine höhere Stückzahl in der Fertigung die Kosten für Atomstrom deutlich gesenkt werden können. 

Bei diesen Kleinreaktoren werden verschiedene Technologien verfolgt, die im Detail den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden. Grundsätzlich lassen sich aber zwei Technologieansätze erkennen. Einerseits sogenannte Wasser-gekühlte Reaktoren. Für diese liegen umfangreiche technologische Erfahrungen vor, da fast alle aktuell betriebenen Kernkraftwerke darauf beruhen. Für die Kleinreaktoren wurde diese Technologie im Sinne der Sicherheit weiterentwickelt. Andererseits gibt es Konzepte mit anderen Ansätzen, bei denen nicht Wasser als Kühlmittel dient. Hochtemperatur-Reaktoren verwenden ein Gas wie beispielsweise Helium zur Kühlung und versprechen zudem einen höheren Wirkungsgrad. In Salzschmelz-Reaktoren sollen geschmolzene Salze die Kühlung übernehmen. Und in Konzepten mit sogenannten schnellen Neutronen könnte geschmolzenes Natrium oder Blei verwendet werden. Manche Konzepte verwenden statt Brennstäben flüssiges Brennmaterial. Und manche dieser Reaktoren versprechen, dass weniger radioaktive Abfälle anfallen oder gar der Abfall heutiger Kraftwerke weiter genutzt werden kann.

Weltweit gibt es mehr als 100 unterschiedliche SMR Konzepte. Eine Liste findet sich in dieser Publikation des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Viele davon sind noch in der sogenannten Designphase, d.h. es gibt noch keinen Prototypen, die die Funktionalität und Machbarkeit des Konzepts in der Realität zeigen. Diese Konzepte werden initial als Computermodelle berechnet. Man könnte auch sagen: solange KEIN Prototyp vorliegt, ist die Machbarkeit noch nicht gezeigt. Derzeit befindet sich eine ganze Reihe an Konzepten in der Vorprüfung zur Genehmigung und nur für einige wenige liegt bereits eine Genehmigung vor. Mit anderen Worten: es wird an neuen Prototypen gearbeitet und insgesamt sind nur sehr wenige Ansätze bereits reell umgesetzt. 

Im Grunde kann man also festhalten, dass viele Konzepte noch in der Entwicklungsphase und nur einige wenige in der Bauphase oder gar schon im Betrieb sind. So versorgt in Russland das Kraftwerk Akademik Lomonosso, welches sich auf einem Schiff befindet, die Kleinstadt Pewek in Sibirien (4.000 Einwohner) mit Strom. Auf dem Schiff befinden sich dafür zwei Kleinreaktoren mit je 35 MW Leistung, deren Performance allerdings als niedrig beschrieben wird. Weitere Anlagen sind in Bau. In China wird seit 2012 ein SMR gebaut, der möglicherweise kurz von Inbetriebnahme ist. Auch in Argentinien ist ein SMR in Bau. Baubeginn war 2014. Eine Betriebsaufnahme ist allerdings noch nicht absehbar. Häufig unterschätzt wird auch die notwendige Zeit, um aus einem Konzept über einen Prototypen bis zur Serienreife zu kommen. Hier ist mit gut 20 Jahren zu rechnen.

Die Entwickler versprechen mit diesen neuen Reaktoren auch ein geringeres Risiko im Betrieb. Zwar bleibt bei manchen Konzepten auch die Gefahr einer Kernschmelze, allerdings ist man der Meinung, dass dies aufgrund der geringen Größe und des veränderten Reaktordesigns besser zu handhaben sei – und daher auch das Risiko bei einem Austritt von radioaktivem Material geringer sei. Auch wenn dies tatsächlich so sein sollte, werden allerdings andere Risiken steigen. Schließlich werden deutlich mehr Kleinreaktoren benötigt, um entsprechende Mengen Strom zu liefern. So würde allein der Ersatz der bestehenden und zum Teil schon in die Jahre gekommenen gut 400 „normalen“ Reaktoren allein den Bau von 1.200 bis 400.000 Kleinreaktoren erfordern – je nach Größe der gebauten Reaktoren. Das bedeutet, dass auch mehr Standorte benötigt werden, die damit auch zwangsläufig näher an Siedlungsgebieten liegen werden müssen. Zugleich wird der nötige Transport radioaktiver Substanzen zunehmen, da ja auch alle diese Standorte mit radioaktivem Material bedient werden müssen. Auch gibt es neue Risiken. Salzschmelz-Reaktoren benötigen besonders widerstandsfähige Materialien, da das geschmolzene Salz sehr aggressiv ist. Und elementares Natrium, welches in manchen Reaktoren als Kühlmittel eingesetzt werden soll, reagiert bei Kontakt mit Luft oder Wasser sehr heftig und kann sich entzünden. 

Bleibt ein letzter Punkt. Sind diese Reaktoren so günstig, wie es versprochen wird? Schon bei den umgesetzten Konzepten sind die Kosten deutlich höher als ursprünglich angenommen. So sollten die Reaktoren auf der Akademik Lomonossov einst gut 2.400 US Dollar pro kW elektrischer Leistung kosten. Letztlich waren es ca. 10.500 bis 14.000 US Dollar pro kW elektrischer Leistung und damit nicht günstiger als herkömmliche Reaktoren. Und: Erste Schätzungen zeigen, dass man wohl mehr als 3.000 Reaktoren eines Typs bauen müsste, damit es wirtschaftlich rentabel wird. 

Fazit: Bei nüchterner Betrachtung liegen bisher wenig belastbare Erkenntnisse zu diesem Reaktortyp vor, die das große Medienecho rechtfertigen würden. Ob diese Kleinreaktoren tatsächlich zukünftig im großen Stil wirtschaftlich eingesetzt werden und wann diese der Fall sein wird, steht aktuell in den Sternen. Kommen wir auf die Eingangsfrage zurück. Unabhängig von Kosten und Sicherheitsaspekten gilt: Für die jetzt dringend zeitnah anstehenden Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels kommen diese Konzepte und vor allem deren Umsetzung sicher deutlich zu spät.

Die weiteren Teile dieser Serie finden sich hier:

Teil 1: Die aktuelle Bedeutung der Kernenergie

Teil 2: Die Kosten der Kernkraft und des Atomstroms

Teil 3: Kernkraft ist nicht klimaneutral

Teil 5: Die offenen Probleme der Kernkraft

Weitere Literatur

Wikipedia Eintrag zu SMR auf deutsch und auf englisch.

Gutachten für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE