Ein Jahr nach der Mobilitäts-Challenge: Wo stehen wir heute?

Vor gut einem Jahr, im September 2020, haben die Familien Aigle und Kühl ihre Mobilitätschallenge erfolgreich abgeschlossen. Zur Erinnerung: Es ging darum, mit dem PKW weniger als 5.000 Kilometer in einem Jahr zurückzulegen. Das Experiment verlief positiv, beide Familien haben die Herausforderung gemeistert und sind deutlich unter der Zielmarke geblieben. Nun stellt sich Frage, ob die Familien ohne den Challenge-Ansporn wieder in alte Muster zurückgefallen sind? Oder hat sich das in der einjährigen Challenge eintrainierte Mobilitätsverhalten verfestigt? Das sagen die Familien…

Familie Aigle: Der neue Lebensstil mit mehr Fahrrad und mehr ÖPNV hat uns als Familie gutgetan. Mehr Frischluft und Bewegung und gemeinsame Zeiten im Zug möchten wir nicht mehr missen. Inzwischen empfinden wir das weniger an Autofahrten nicht mehr als Verzicht, sondern vielmehr als Gewinn an Lebensqualität durch Entschleunigung. So nutzen wir auch ohne Challenge das Auto wenig, oftmals nur 1-2x im Monat. Im Frühjahr standen verschiedene kleinere Reparaturen sowie neue Reifen für unser 8 Jahre altes Auto an. Neben den laufenden Kosten für Steuer und Versicherung standen wir vor der Frage, ob sich unser „Stehmobil“ überhaupt noch lohnt. Zudem hat sich im Früher 2021 ein attraktives Car-Sharing-Angebot in unserer Nachbarschaft aufgetan. Hinzu kam, dass 10 Minuten fußläufig von unserem Wohngebiet eine Mobilitätsstation eröffnet wurde. Diese umfasst unter anderem ein Elektrofahrzeug mit Ladesäule, einen Kleinwagen mit Verbrennungsmotor (weitere Pkw-Größen können vorab gebucht werden) sowie zwei Lastenfahrräder. Damit war uns die Entscheidung schnell klar: im Juli 2021 verkauften wir unser Auto und meldeten uns beim Car-Sharing an. 

Die ersten Erfahrungen nach 3 Monaten sind weitgehend positiv. Wir haben bisher das E-Auto für einen Tagesausflug, einen Wochenendtrip und unseren Sommerurlaub im Allgäu gemietet. Das Auto hat eine Reichweite von etwa 350 km, was für unsere bisherigen Ziele völlig ausreichend war. Das Laden im Urlaub funktionierte mit entsprechender Planung problemlos. Die Buchung eines Fahrzeugs erfolgt per App und erfordert etwas Vorlauf, um auch das gewünschte Fahrzeug an einem nahliegenden Standort zu bekommen. Für Fahrten im Stadtgebiet haben wir das Angebot bisher nicht genutzt, da wir hier bevorzugt weiterhin das e-Bike nutzen. Im Winter kann sich das jedoch ändern.

Nun noch die Frage der Kosten. Für uns als Ehepaar beträgt die fixe Monatsgebühr 20 Euro / Monat. Die Abrechnung der Fahrzeugnutzung erfolgt 2,50 €/h oder bei längerer Mietung auf Tagesbasis 25 €/Tag. Hinzu kommen 10 Cent pro gefahrenen Kilometer inklusive Ladestrom. Für uns als Wenigfahrer ist das Car-Sharing interessant wie folgende kleine Rechnung zeigt: Je nach Nutzung fallen pro Monat Kosten im Bereich von 100 € (z.B. für einen Wochenendtrip mit 48 h Mietdauer und 200 bis 300 km Fahrstrecke) bis knapp 400 € (z.B. Nutzung für 10 Tage für einen Urlaub und 1.000 km Fahrstrecke) an. Ohne Überlandfahrten fallen nur minimale Monatskosten an. Die Stadtfahrten werden auf Stundenbasis abgerechnet. Hier nutzen wir eh bevorzugt den ÖPNV oder das Fahrrad. Dem Gegenüber beträgt der Unterhalt eines eigenen Mittelklassewagens (Steuer, Versicherung, Sprit, Service, Wartung, Abschreibung) zwischen 500 bis 700 Euro / Monat (Quelle).

Für uns als Familie fühlt sich die bedarfsgerechte Nutzung eines Pkws richtig an. Natürlich ist uns bewusst, dass nicht jeder auf ein Auto verzichten kann, gerade im ländlichen Raum. Selbstverständlich hat das eigene Auto hier seine Berechtigung und Notwendigkeit. Umgekehrt möchten wir aber all diejenigen motivieren, die in urbanen Gebieten mit ähnlichen Mobilitätsangeboten wie ÖPNV und Car-Sharing wohnen. Ein Mix aus Fahrrad und anderen Alternativen ist gut fürs Klima, die eigne Gesundheit sowie den Geldbeutel.

Abb. 1: Simone Aigle im Urlaub mit dem Car-Sharing e-Auto.

Familie Kühl: Auch bei uns war der Ehrgeiz ungebrochen, so dass wir das Auto – wenn immer möglich – stehen gelassen haben. Nicht einmal ein Schienbeinburch einer unserer Töchter konnte uns davon abhalten. So schoben wir unsere Tochter kurzerhand mit dem Fahrradanhänger in die Schule, bis sie – teilweise mit Krücken – wieder gehen konnte. Am Ende des Jahres stand unser Tacho dann auf 1603 km, sprich, wir konnten unsere Autonutzung nochmals deutlich senken. Wir haben nun vor, uns mal beim Car-Sharing anzumelden, um zu testen, ob wir prinzipiell auch ohne eigenes Auto auskommen würden. Mal sehen, wann wir diesen Schritt wagen…  Möglich wurde das auch, weil wir den Sommerurlaub nach Frankfurt am Main, Hamburg und Norderney problemlos mit dem Zug und der Fähre gemeistert haben – obgleich wir 2x mitten in einen Lokführer-Streik gerieten. Und auch hier ist der Kostenvergleich interessant: Für die Zugtickets haben wir für die ganze Familie etwa 280 Euro ausgegeben, da wir beide eine Bahn Card 25 haben und schon früh entsprechende Sparpreise gebucht haben. Mit dem Auto wären wir 1800 km gefahren. Nur für das Benzin und die Parkgebühren hätten wir alternativ ca. 200 Euro gezahlt. Bei Vollkostenberechnung – und die müsste man richtigerweise ansetzen – hätte uns die Reise aber 600 Euro gekostet. Eigentlich lohnt sich auch für uns ein Auto wirtschaftlich nicht mehr.

Abb. 2: Tochter von Familie Kühl mit Schienbeinbruch im Radanhänger auf dem Weg zur Schule. Mama schiebt.